Surf-Resistance Hawaii - Kritik am Ausverkauf der indigenen Surfkultur

Deutschlandfunk Kultur - 2016 - 17 Min.

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Surfen hat eine lange Tradition: In Waikiki gab es in vorkolonialer Zeit sogar einen Strandabschnitt, wo nur die hawaiianische Königin auf den Wellen reiten durfte. Dass daraus ein Trendsport wurde, der inzwischen Milliarden umsetzt, gefällt nicht allen Hawaiianern.

Hawaii ist vor allem für Surfende ein Paradies. Doch die Inselkette im Pazifischen Ozean besteht nicht nur aus Riesenwellen, Touristen-Oasen, Beach-Partys und der Gelassenheit des Aloha-Geistes.

Es geht auch um Verdrängung, Besitzansprüche und sehr viel Geld, das durch die Surfindustrie eingenommen wird. Teile der lokalen Bevölkerung fühlen sich benachteiligt und stellen sich gegen die „fremde Macht“ vom US-amerikanischen Festland, die alle Wellen für sich beanspruche und kein Interesse an der indigenen Surfkultur habe.

Seit 60 Jahren auf dem Surfbrett

Ganz in der Nähe des Waikiki Beach und den riesigen Wellen sitzt Tom Pohaku in seinem Stamm-Frühstücks-Diner. Der Surfbrett-Bauer kann viel darüber erzählen, wie der Trendsport entstanden ist, und surft selbst seit 60 Jahren:

"Die Verbindung zwischen den Wellen und Surfen ist heute eine komplett andere als damals. Heute erfährst du über die Geschichte des Surfens aus einem Hochglanzmagazin, das irgendein weißer Typ in Australien oder Kalifornien geschrieben hat.“

Sein Wissen gibt Tom inzwischen an seinen 10-jährigen Sohn Kawika weiter. In der gespaltenen hawaiianischen Community gehört Pohaku zur kämpferischen Fraktion, die die Zugehörigkeit zu den Vereinigten Staaten als Besatzung empfindet:

„Unser eigentliches Ziel ist es, die Unabhängigkeit Hawaiis wiederzuerlangen.“

Das Königreich Hawaii existiert für Tom noch immer, denn der 1893 von den USA initiierte Umsturz sei illegal gewesen.

In vorkolonialer Zeit, bevor sich die ersten Missionare und die Zuckerrohrindustrie auf Hawaii ansiedelten, gab es einen Strandabschnitt in Waikiki, an dem nur die hawaiianische Königin auf den Wellen reiten durfte. Es war niemandem erlaubt, sie dabei zu beobachten. Heute ist es hier schwierig, noch eine freie Stelle zu finden, um das Badetuch auszubreiten. Auch die Hoteldichte mit ihrer überholten Architektur ist stellenweise enorm.

Doch was wissen diejenigen, die zum Surfen hierherkommen über die Verbindung ihres Lieblingssports mit Hawaii?

"Ich habe keine Ahnung, aber heute ist Surfen ein Weltsport. Es ist wie mit jeder Sportart, die von irgendwo herkommt und sich dann über die ganze Welt ausbreitet. Die hatten damals doch diese riesigen, instabilen Bretter, die 50-60 Pfund wogen. Darauf surfen war richtig schwer.“

Ein älterer Mann – Ende 60 – aus Tahiti steht am Stand eines Surfbrettverleihers – unweit des bronzefarbenen Denkmals des hawaiianischen Surfidols Duke Kahanamoku.

„Surfen ist gutes Training für den Körper. Es gab da diesen Hawaiianer. Da drüben kannst du seine Statue sehen. Er war eine Surf-Legende und nahm an den Olympischen Spielen teil. Aber ansonsten, echt keine Ahnung.“

Ein Surfbrett-Bauer mit polierter Glatze

Nicht weit weg vom Strand und den riesigen Wellen treffe ich Tom Pohaku in seinem Stamm-Frühstücks-Diner. Es duftet nach frisch gebrühtem Kaffee. Tom bestellt Kartoffeln, Spiegeleier und Bacon.

"Die Verbindung zwischen den Wellen und Surfen ist heute eine komplett andere als damals. Heute erfährst du über die Geschichte des Surfens aus einem Hochglanzmagazin, das irgendein weißer Typ in Australien oder Kalifornien geschrieben hat. Ich habe mein ganzes Leben lang gesurft, das gehört zu mir.“

Der Surfer und Handwerker mit der blank polierten Glatze erzählt, dass Hawaiianer heute wie damals ihre Neugeborenen möglichst früh mit dem Wasser vertraut machen wollen:

„Als Baby werfen sie dich in den Ozean und du musst erstmal lernen, dich über Wasser zu halten. Bevor du also zum ersten Mal deinen Fuß auf ein Surfboard setzt, lernst du die Kraft der Wellen kennen.“

Tom ist ein gern gesehener Workshop-Leiter am US-amerikanischen Forschungsinstitut Smithsonian und auch an Sport-Universitäten in Europa.

Traditionelle Symbole der Männlichkeit

Den Bau der „Papahe'enalus“ – also der traditionellen holzgeschnitzten Surfbretter, beherrschen heute nur noch wenige auf Hawaii. Tom zeigt auf eine Reihe Holzbretter, die er selbst gebaut hat und mit denen er auch auf Wellen reiten kann:

„Das ist ein Ki-Koho, Aleiha steht hier, Paha und das ist ein Onini. Im Grunde sind das Surfbretter aus vor-kolonialen Zeiten, wie sie ein hawaiianisches Oberhaupt besaß. Sie sind Phallus-Symbole und repräsentieren mich als Mann.“

Seine Surfbrettkollektion hat Tom mitten im Wohnzimmer seines Hauses aufgereiht, das am Hang einer dicht grünbewachsenen Bergkette liegt. Wer hat Tom den Bau dieser imposanten, mindestens drei Meter langen Wasser-Vehikel beigebracht?

„Mein Vater war mein Lehrer. Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich unbedingt ein Surfbrett haben, aber wir konnten es uns nicht leisten. So fand mein Vater ein Stück Holz und schnitzte daraus ein Surfbrett für mich. Und ich hasste es! Es hatte gar nichts von diesen glänzenden Glasfaser-Surfbrettern. Mein Vater wurde wütend, zerbrach es und verbrannte es. Als ich erwachsen und weiser wurde, machte mich dieses Ereignis traurig und ich habe begriffen, dass er mir etwas ganz Wunderbares gezeigt hatte. Da fing ich an, eigene Surfbretter zu bauen.“

Der Sohn lernt vom Vater

Sein zehnjähriger Sohn Kawika hat sich zu uns gesellt. Heute ist es Tom wichtig, diese Tradition an seine Kinder weiterzugeben. Seit seinem ersten Lebensjahr ist sein Sohn Kawika beim Bau der Surfbretter an seiner Seite.

„Figuring out the shape and what woods to use for certain things.”

Herausfinden, welche Form es haben muss und welches Holz sich dafür am besten eignet. Das sei die größte Herausforderung beim Bauen eines Surfbretts, sagt Kawika und erntet stolze Blicke von seinem Vater:

„Sehr gut! Genau das ist es: Wir haben keine Mustervorlagen. Wir zeichnen die Form vor und dann passen wir sie an – alles nach Augenmaß.

Jede Woche findet hier auf Hawaii irgendein Surf-Wettbewerb statt. Da dreht sich alles nur ums Geld. Wieviel Geld kannst du da rausholen und wie viel Geld können sie mit dir durchs Promoten ihrer Produkte machen.

Ich konzentriere mich auf die Arbeit mit den Kindern, denn 90 Prozent von ihnen werden es nicht bis an die Spitze der professionellen Surf-Wettbewerbe schaffen. Und wenn dann der Traum platzt, dann werden sie zu Drogenabhängigen oder Alkoholikern.“

Industrie mit Milliardenvolumen

Laut des Marktforschungsinstitutes „Global Industry Analysts“ wird die globale Surfindustrie nächstes Jahr einen Umsatz von 13 Milliarden US-Dollar übersteigen. Markenprodukte werden heute gerne mit Elementen aus der hawaiischen Geschichte und Kultur vermarktet: das berühmte Shaka-Handzeichen, die Leis – die Blumenketten aus Orchideen – die holzgeschnitzte Ahnenmasken der Tikis.

Videos und Fotos von Surf-Wettbewerben erreichen millionenfache Klicks im Internet und die Surfequipment-Hersteller wollen mit diesen Wettbewerben in Verbindung gebracht werden:

„Diese Konzerne betrachten die Geschichte des Surfens als ihr Eigentum und genau dagegen kämpfe ich. Nein, es steht dir nicht zu, unsere Kultur zu interpretieren – du bist kein Einheimischer. Das ist etwas, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Ich denke, diese Konzerne müssen verstehen, dass diese kulturelle Bindung wichtig ist.“

Die Vereinnahmung des Surfens begann auf Hawaii mit einer Tourismuswelle Anfang des 20. Jahrhunderts. Wenige Jahre nach dem Umsturz der hawaiischen Monarchie und der Annexion Hawaiis durch die USA kamen neue Besucher in die Hauptstadt Honolulu – unter ihnen zum Beispiel auch der Schriftsteller Jack London im Jahr 1907.

Er kam in Berührung mit den „Waikiki Beachboys“, die ihr Geld mit Diensten für weiße Touristen verdienten: Sie waren ihre Rettungsschwimmer, Surf- und Schwimmlehrer, Animateure, Touristenführer und nicht selten Urlaubs-Liebhaber reicher Damen. Diese Popularisierung des Surfens hatte zur Folge, dass die ersten Surf-Clubs eröffneten, die ausschließlich einem weißen Publikum zugänglich waren und eingeborene Hawaiianer ausschlossen.

Ein Surfer als Geschichtsprofessor

„Selbst wenn der Kolonialismus die hawaiianische Kultur im Land vereinnahmte, blieb der Ozean für die Hawaiianer der Ort, an dem sie selbstbestimmt sein konnten. Vielleicht liegt es daran, dass man den Ozean nicht abzäunen kann.“

Sagt Isaiah Helekunihi Walker. Ich treffe ihn in der Ortschaft Laie, auf dem Campus der Brigham Young University Hawaii. Er ist Surfer und unterrichtet hier als Professor an der Fakultät für Geschichte. In seinem Buch „Waves of Resistance“ – „Wellen des Widerstands“ – hat Isaiah die Geschichte des Surf-Clubs Hui He'enalu und die der Surf-Gang Wolfpack – übersetzt „Wolfsrudel“ erforscht. Beide sind als Folge der hawaiianischen Kulturrenaissance in den 1970er und 80er-Jahren entstanden. Die Renaissance war ein Selbstfindungs- und Selbstermächtigungsprozess der „Kanaka Maoli“ – wie sich die eigeborenen Hawaiianer in ihrer Sprache nennen:

„In den 1970er-Jahren, als Surfen auf Hawaii zum großen Trend wurde und viele Leute vom Festland hierher kamen, löste das oft schroffe Reaktionen bei den Hawaiianern aus. Die Medien bemühten sich, die Hui He'enalu als Terroristen abzustempeln. Als ich diese Menschen jedoch interviewte, begriff ich, dass das eher eine Art indigene Protestbewegung war.“

In einem immer noch kursierenden Internet-Video kann man Wolfpack-Mitglied Kala Alexander sehen, wie er einen weißen Surfer krankenhausreif schlägt, weil sich dieser nicht an die Hierarchie bei der Vergabe der Wellen gehalten hat. Getreu dem Motto: Die beste Welle gehört den Locals.

Hohe Armuts- und Obdachlosenquote unter Hawaiianern

Wissenschaftler und Surfer Isaiah, dessen Vater ein Weißer und seine Mutter eine einheimische Hawaiianerin ist, sieht in solchen Übergriffen gegen „Haoles“, das hawaiianische Wort für Weiße, verdrängte Aggressionen. Dies seien Folgen der Enteignung ihrer Kultur, der hohen Armuts- und Obdachlosenquote unter Hawaiianern – Folgen ihrer geringen Teilhabe am Reichtum Hawaiis. Das führt zu Konflikten, auch heute noch:

„Es ist nicht so, dass es keine Gewalt im Surfen gibt. Da werden oft keine Fragen gestellt, stattdessen kommen bei der kleinsten Reiberei die Fäuste zum Einsatz. Aber heute werden zunehmend andere Formen der Erziehung angewendet. Wolfpack hat jetzt eine eigene TV-Sendung. Andere Surfer setzten sich für Bildungsprojekte und Umweltprojekte ein oder arbeiten mit Kindern, die eine Behinderung haben. Und nicht Wenige traten der Protestbewegung gegen den Bau der neuen Riesenteleskope auf dem heiligen Vulkan Mauna Kea bei – unter ihnen auch viele prominente Surfer.“

Die großen Surfwettbewerbe finden im Winter am North-Shore von Oahu statt, wenn es dort die Riesenwellen gibt und es darum geht, sich auf diesen zu behaupten. Nicht weit vom Waikiki Beach entfernt findet der „Locomotion Surf Into The Summer“ statt.

Der Wissenschaftler Isaiah Helekunihi Walker ist nebenbei für die World Surf League als Kommentator tätig und nimmt auch selbst an den Surf-Wettbewerben teil.

Kampf gegen das Establishment

Der Surfbrettbauer Tom respektiert Isaiahs Arbeit, glücklich darüber ist er trotzdem nicht. Jemand wie er sollte keine Veranstaltungen der Surfindustrie unterstützen:

„Als Hawaiianer kämpfen wir stets gegen das Establishment – und die Surfindustrie ist das Establishment. Isaiahs Buch über den Widerstand zum Surfen von heute ist ein gutes Buch, aber es greift zu kurz. Und er widerspricht sich selbst. Er sollte deutlicher dazu stehen, was er in seinem Buch schreibt: Denn wenn ich gegen die Wettkämpfe bin, dann kämpfe ich bis zum Schluss.“

Aber auch Toms eigenes Verhältnis zur Surfindustrie ist sehr gespalten. Auch wenn Tom seit Jahren an keinem Wettkampf mehr teilnimmt und keine Produktlogos an Kleidung und Equipment trägt, nimmt er dennoch Geld von Surf-Sponsoren an.

Auch er ist ein Stück weit abhängig von ihnen:

"Ich surfe seit 60 Jahren und davon wurde ich 42 Jahre lang gesponsert. Es ist eine eigenartige Beziehung, die ich zu diesen Firmen habe, weil ich ja absolut gegen diese Art von Surfwettbewerben bin, dennoch bekomme ich Geld von ihnen. Wenn ich sie frage, verdammt, warum macht ihr das? Dann antworten sie: Wir mögen dich. Ich denke, sie haben herausgefunden, dass kontroverse Personen wie ich genau nützlich für sie sein können."

Bei jedem professionellen Surfwettbewerb wird eine bestimmte Punktzahl vergeben, die unter den Gewinnern aufgeteilt wird. Heute findet ein 1000 Punkte-Wettbewerb statt. Und wie wird darüber entschieden, wie viele Punkte man bei einem Event holen kann, frage ich einen der Organisatoren.

„Es kommt auf das Geld an (lacht), wie hoch die Summe der Sponsorengelder ist, die in der Wettbewerbskasse landet. Das hier ist ein 10.000 Dollar-Event. Bei höherrangigen Events teilen sich die Finalisten bis zu 50.000 oder 100.000 Dollar."

Die hawaiianische Community ist gespalten

Es ist mittlerweile Abend, Tom schenkt sich ein Glas Rotwein ein. Er redet aber nicht mehr vom Surfen, sondern von der ständig wachsenden Militärpräsenz auf Hawaii, wie traditionelle Begräbnisstätten der Hawaiianer dabei zerstört werden und wie die Mietpreise steigen:

„Unser eigentliches Ziel ist es, die Unabhängigkeit Hawaiis wiederzuerlangen. Doch die hawaiianische Community ist heute gespalten: es gibt die, die den Weg des Aloha, also der Gutmütigkeit und Zuneigung wählen, andere wollen in den Krieg ziehen. Dabei werden einige von uns sterben. Aber das ist OK. Denn wenn du nur in den Gerichtssälen kämpfst, ignoriert dich Amerika einfach. Tausende von uns sind bereit, sich zu opfern und für unser Land zu sterben.“

Was er mit „unserem Land“ meint: ein von den USA unabhängiges Hawaii.

Denn das Königreich Hawaii existiere immer noch, der 1893 von den USA initiierte Umsturz war illegal, meint er:

„Die Leute sehen Hawaii als dieses wunderschöne Paradies und die Hawaiianer als glückliche Menschen, aber wir sind überhaupt nicht glücklich über unsere Besatzung.“

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